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Zu einem öffentlichen Faktencheck „Leistungsfähige Rheinquerung“ hatte das Landesverkehrsministerium im November 2011 eingeladen. An zwei Tagen wurde den Besuchern eine Vielzahl von Vorträgen von Behördenvertretern und Gutachtern geliefert, die sich mit der bestehenden Rheinquerung (Straßen- und Bahnbrücke) und den Planungen für eine weitere Kfz-Brücke — irreführend gemeinhin als 2. Rheinbrücke bezeichnet — befassten. Dazu waren 16 Verbände und Unternehmen (incl. VCD) eingeladen, einen Vertreter in den Faktencheck zu entsenden, der zum Vorgetragenen Fragen stellen durfte, je 8 aus Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg. Professionelle Wirtschaftslobbyisten als Befürworter trafen auf überwiegend Ehrenamtliche, die für die Bürger und für die Umwelt das Neubauprojekt kritisch begleiten. Um das Mammutprogramm bewältigen zu können, wurde den Verbandsvertretern eine ganze Minute pro Themenblock gewährt, ihre Fragen zu stellen. Was allerdings nicht zwingend bedeutete, dass die Fragen auch beantwortet wurden. Längst nicht alle Behördenvertreter hatten offenbar ein Interesse an der versprochenen Transparenz. Insbesondere das Regierungspräsidium Karlsruhe spielte mit seiner Desinformationspolitik wie bereits bei Einleitung des Planfeststellungsverfahrens eine unrühmliche Rolle. Der ranghöchste Vertreter des Mainzer Ministeriums machte zudem gleich mit seinem Eingangsstatement klar, dass der Faktencheck für die rheinland-pfälzische Seite keineswegs — wie an sich vorab versprochen — ergebnisoffen war.
Dennoch hat der Faktencheck einiges zur Transparenz beigetragen und eine Reihe neuer Informationen gebracht. Keineswegs neu, aber erstmals von der badischen Presse über die Stadtgrenzen von Karlsruhe verbreitet war die Erkenntnis, dass der morgendliche Stau im Berufsverkehr nicht durch die bestehende Rheinbrücke Maxau verursacht wird, sondern ausschließlich durch die Verkehrsmenge und die nachfolgenden Engpässe im Karlsruher Stadtgebiet. Gerade einmal 500 Kfz sind es in der Spitzenstunde zu viel, die der sog. Knielinger Pförtner nicht mehr verkraften kann. Das ergibt sich aus einem erstmals referierten Gutachten, das die Stadtverwaltung Karlsruhe bislang zurückgehalten hat. Diese — nach Aussage des Gutachters für eine Stadt von der Größenordnung Karlsruhe ohnehin eher bescheidene — Verkehrsspitze ließe sich mit verkehrsbegleitenden Maßnahmen verringern. Auch eine Öffnung des Knielinger Pförtners wäre verkehrstechnisch möglich, wenn auch aus Sicherheitsgründen wohl nur mit Umbaumaßnahmen. Dass der geplante Bau einer zusätzlichen Trasse mit Anschluss an das Ölkreuz zu einer Verringerung des Staus führen würde, konnte hingegen nicht von den Planern überzeugend dargelegt werden.
Erstmals wurde auch der Bahnverkehr bei der Beurteilung der Rheinquerung in Betracht gezogen. In den Planfeststellungsunterlagen für den Bau einer weiteren Kfz-Brücke fehlt das Wort ÖPNV ganz. Die wichtigste Erkenntnis: Entgegen vorherigen Behauptungen wären auch Kapazitätssteigerungen im Bahnverkehr realisierbar. Nach einem Umbau des Wörther Bahnhofs mit seinen ungenügenden Weichenanordnungen könnten sogar zwei Züge stündlich zusätzlich dort durchgeschleust werden. Der zweigleisige Ausbau der Strecke Wörth—Winden als Zubringer wäre zudem dringend notwendig. Mit dem Stellwerk Wörth hätte diese Maßnahme übrigens nichts zu tun. Dessen Leistungsfähigkeit wird von den verantwortlichen Experten nicht in Frage gestellt. Welchen Stellenwert der Bahnverkehr hat, machten die meisten Pressevertreter und ein Großteil der Straßenbaulobbyisten allerdings dadurch deutlich, dass sie vor den hochinteressanten Ausführungen des Referenten am Tagesende den Saal verließen.
Das bislang stärkste Argument für den Neubau überlebte den Faktencheck nicht. Ein neues Sanierungsverfahren macht es aller Voraussicht nach möglich, bei der irgendwann in den nächsten Jahren anstehenden Sanierung der Fahrbahn die Vollsperrung der Brücke auf ca. 9-12 Sonntage zu reduzieren. Die Beeinträchtigung an den Sonntagen ließe sich durch ein zusätzliches Bahnangebot weitestgehend minimieren. Damit ist vor allem auch der Zeitdruck aus den Planungen raus. Ohnehin wurde beim Faktencheck deutlich, dass ein Brückenneubau nicht annähernd so schnell zu realisieren wäre, wie von denen, die im doppelten Sinn aufs Gas treten, erwünscht. Weder stehen die erforderlichen Grundstücke zur Verfügung noch die Finanzmittel für den Bau. Einen völlig unterschätzten Unsicherheitsfaktor stellen auch die Ausgleichsmaßnahmen dar, die für Dutzende gefährdeter Tierarten vorzunehmen wären. Gebaut werden darf dabei erst dann, wenn die Neuansiedlung der bedrohten Tierart an anderer Stelle gelungen ist. Die Planungsbehörden veranschlagen dafür je nach Biotop zwischen 2 und 5 Jahren. Den Einwand, dass bis zur Umsiedlung der letzten Tierart gewartet werden müsste, konterten sie mit Hinweis, diese unterschiedlichen Zeiten könnten in den Bauzeitenplänen berücksichtigt werden. Im Klartext: Da die umzusiedelnden Biotope ganz überwiegend auf Pfälzer Seite liegen, könnte die Trasse ggf. auf Karlsruher Gebiet gebaut und die Brücke über den Rhein geschlagen werden. Wenn sich dann herausstellt, dass einzelne Tierarten — was durchaus umstritten ist — sich doch nicht umsiedeln lassen, könnte Karlsruhe vielleicht doch profitieren: mit einem Eintrag in das Guinness Buch der Rekorde — für die teuerste Fußgängerbrücke der Welt.
Dies ist ein Artikel der Karlsruher Zeitschrift umwelt&verkehr 1/12
Stand des Artikels: 2012! Der Inhalt des Artikels könnte nicht mehr aktuell sein, der Autor nicht mehr erreichbar o.ä. Schauen Sie auch in unseren Themen-Index.