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Foto: Mari Däschner

Die Atomlobby lebt

Es kam, wie es kommen musste. Von Anfang an war klar, dass der Atomkompromiss von der Politik wieder gekippt würde. Genau wie absehbar war, dass es einer erneuten Katastrophe à la Tschernobyl bedurfte, um den Ausstieg aus der Atomkraft ernsthaft zu betreiben. Dass der Ausstieg aus dem Ausstieg so kurzlebig war, war allerdings nicht vorhersehbar. So wurde dann auch mit dem japanischen Tsunami im März wenig überraschend eine unglaubwürdige schwarz-gelbe Landesregierung hinweggeschwemmt, die sich ohnehin schon in Stuttgart (21) eine Grube gebaut hatte.

Nur, wie sieht es mit dem Ausstieg jetzt wirklich aus? Während die Parteien sich zunächst (vor allem noch vor den Wahlen Ende März) mit Vorschlägen zur Stilllegung der Atomkraftwerke überboten, rüstet die Atomlobby längst wieder auf. Da werden die Gefahren eines Netzzusammenbruchs beschworen, Ängste geschürt, dass wir plötzlich alle im Dunkeln sitzen, eine deutliche Verteuerung der Strompreise herbeigeredet und immer wieder damit argumentiert, dass Deutschland nun den Atomstrom aus dem Ausland beziehen müsse.

In der Tat waren wir — es wurde von der Atomlobby immer gern verschwiegen — bis Mitte März Stromexportland. Und zwar obwohl schon die den letzten Jahren gelegentlich bis zu 7 der 17 deutschen Reaktoren still standen. Stromnetze brachen dennoch nicht zusammen. Mittlerweile wissen wir, dass sie auch bei der gleichzeitigen Abschaltung von 13 Reaktoren halten (8x Moratorium + 5x Revision). Mit Inkrafttreten des Moratoriums können die vier Besatzungsmächte EnBW, E.ON, RWE und Vattenfall nun weniger Strom exportieren. Zudem importiert Deutschland seit Mitte März im Saldo mehr Strom, als wir exportieren. Falsch ist allerdings die beliebte Behauptung, wir wären jetzt auf den Import vom Atomstrom aus dem Ausland angewiesen. Es wird Strom importiert, obwohl die bestehenden Kapazitäten für die Stromerzeugung in Deutschland überhaupt nicht ausgenutzt werden. Auch exportieren wir gleichzeitig Strom in die Schweiz und damit in ein Land, das einen höheren Anteil an Atomstrom hat als Deutschland.

Teil der Atomlobbykampagne war auch die ganzseitige Annonce, die EnBW am Vortag der Hauptversammlung im April in den Badischen Neuesten Nachrichten geschaltet hat. Angesichts des minimalen Aussagegehalts dieser Anzeigenseite dürfte sie sich wohl weniger an — wie es hieß — „die Mitbürgerinnen und Mitbürger“ gerichtet haben, sondern mindestens genauso sehr an die Redakteure der BNN, damit sie möglichst schnell zu der Hofberichterstattung für den ortsansässigen Konzern zurückkehren, die die BNN vor Fukushima ausgezeichnet hatte. Wer bis März von den vielfältigen Pannen des Atomkraftwerks Philippsburg wissen wollte, suchte sie in den BNN vergebens. Er musste dafür schon die RHEINPFALZ lesen. Fragt sich also nur, wann die Atomlobby wieder Oberwasser gewinnt.

Zu denken sollte uns ein Vergleich mit einer anderen Umweltkatastrophe geben. Exakt ein Jahr nach der Havarie der Ölplattform im Golf von Mexiko im April 2010, der zu einem Ölteppich von der Größe Bayerns führte, hatte die US-Regierung bereits wieder 11 Genehmigungen für Ölbohrungen im Golf von Mexiko erteilt. Selbst wenn wir in Deutschland den Atomausstieg bis 2020 oder 2022 schaffen sollten, in einigen unserer europäischen Nachbarländer wird es einer erneuten Katastrophe oder eines Terroranschlags bedürfen, um ernsthaft umzudenken. Und sie wird kommen. Wetten?

Dennoch: Verzagen gilt nicht. Jede/R kann zum Abschalten beitragen. Durch Wechsel zu Ökostrom und durch Nachfrage als Kunde, woher die Läden ihren Strom bekommen. Entgegen aller Lippenbekenntnisse bezogen bis Fukushima gerade einmal 6 % der Privathaushalte Ökostrom. Das lässt sich problemlos ändern. Der Wechsel ist innerhalb von 10 Minuten in Auftrag gegeben. Alle notwendigen Informationen dazu gibt es unter www. atomausstieg-selber-machen.de oder kostenfrei unter Tel. 0800-7626852. Und: Auch wer Ökostrom bezieht, sollte sparsam damit umgehen, damit die gesetzlich vorgegebene vorrangige Einspeisepflicht für Ökostrom möglichst viele konventionelle Kraftwerke in die Knie zwingen kann.

Reiner Neises

Dies ist ein Artikel der Karlsruher Zeitschrift umwelt&verkehr 2/11

Stand des Artikels: 2011! Der Inhalt des Artikels könnte nicht mehr aktuell sein, der Autor nicht mehr erreichbar o.ä. Schauen Sie auch in unseren Themen-Index.

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