Achtung! umwelt & verkehr ist Ende Aug./Anf. Sept. '24 umgezogen! Sollte etwas noch nicht funtionieren: Bitte melden!
Durch den 1955 begonnenen Oberrheinausbau gingen bis zur Fertigstellung der Staustufe Iffezheim im Jahr 1977 ca. 130 km² Überflutungsfläche verloren, wodurch sich der bis 1955 bestehende 200-jährliche Hochwasserschutz am Rhein auf einen 60-jährlichen Schutz verringerte. Mit Extrem-Hochwasser (5.000 m³/s Abfluss am Pegel Maxau), das früher im statistischen Mittel alle 200 Jahre vorkam, war jetzt unterhalb der Staustufe Iffezheim alle 60 Jahre zu rechnen. Als Reaktion auf die erhöhte Gefahr legte die Deutsch-Französische Vereinbarung 1982 fest, im Elsass, in der Pfalz und in Baden-Württemberg Hochwasserrückhalteräume zu schaffen, um den früheren Hochwasserschutz wieder zu gewährleisten. Baden-Württemberg sieht in seinem 1988 verabschiedeten Hochwasserschutzprogramm (Integriertes Rheinprogramm IRP) 13 Rückhalteräume vor, darunter Bellenkopf/Rappenwört.
Der Rückhalteraum Bellenkopf/Rappenwört erstreckt sich von Rheinstetten-Neuburgweier bis zum Karlsruher Rheinhafendampfkraftwerk und wird rheinseitig vom Hochwasserdamm XXV, landseitig vom Hochwasserdamm XXVI begrenzt. Noch vor 70 Jahren wurden Teile dieses Gebiets bei Hochwasser regelmäßig überflutet. Auf einer Fläche von 510 ha soll es bis zu 14 Mio. m³ Rheinwasser aufnehmen, d.h. 8,3 % des rechtsrheinisch zu erbringenden Rückhaltevolumens. Seit einigen Jahren bereitet das Regierungspräsidium Karlsruhe das Planfeststellungsverfahren vor, wobei derzeit im Wesentlichen zwei Varianten untersucht werden. Die Entscheidung darüber, mit welcher Variante die Planfeststellung eröffnet wird, soll in diesen Wochen fallen.
Der Rückhalteraum ist zu 67 % bewaldet (Bellenkopf, Äußerer Kastenwört und Rappenwört) und steht als NATURA 2000 Gebiet unter dem Schutz der EU. Bei beiden Varianten erfolgt die Verbindung zum Rhein über 5 Öffnungen im Damm XXV.
Im Blick auf die Flutungen unterscheiden sich die Varianten kaum. In den letzten 60 Jahren wurde der Abfluss 4.000 m³/s (zum Vergleich: Die Schifffahrt ruht ab 3.000 m³/s) gerade 8 Mal überschritten, und dann zumeist nur für wenige Stunden — bei Variante II hätte man den Rückhalteraum also nur selten und für kurze Zeit geschlossen. Bei Variante I, deren Öffnungen im Damm XXV breiter sind als die der Variante II, durchströmt das Wasser den Rückhalteraum jedoch mit höherer Geschwindigkeit. Bezüglich Hochwasserschutz, Umweltverträglichkeit, Baukosten und Auswirkung einer Rheinkontamination zeigt der Variantenvergleich:
Im Inneren Kastenwört, der östlich an den Rückhalteraum anschließt, planen die Stadtwerke Karlsruhe den Bau eines Wasserwerks mit 7,4 Mio. m³ Wasserentnahme pro Jahr und fürchten, dass das Grundwasser durch Flutung des Rückhalteraums verunreinigt wird. Da es vom Grundwasserstrom aus dem Schwarzwald gespeist wird, ist es derzeit von hervorragender Qualität. Wird mehr Grundwasser entnommen als über den Zustrom nachgeliefert werden kann, fließt Uferfiltrat aus dem Rhein nach und beeinträchtigt die Wasserqualität. Bei der geplanten Fördermenge geht man ohne Rückhalteraum von 11-12 % Rheinuferfiltrat im geförderten Wasser aus (vergl. Drucksache 14/227 des Landtags Baden-Württemberg); nach Fertigstellung des Rückhalteraums erhöht sich dieser Wert bei Extrem-Hochwasser auf 24 % (Variante I) bzw. 22 % (Variante II). Wird allerdings die Fördermenge halbiert, so reicht der Grundwasserstrom aus dem Schwarzwald aus, um die Wasserentnahme auszugleichen, ohne dass Rheinuferfiltrat nachfließt. Um das Grundwasser nachhaltig zu schützen, ist die Fördermenge deshalb entsprechend zu drosseln.
Wie die Stadtwerke betonen, soll das geplante Wasserwerk im Inneren Kastenwört die Trinkwasserversorgung von Karlsruhe sicherstellen. Tatsächlich nahm der Trinkwasserbedarf des Raumes Karlsruhe in den zurückliegenden Jahren kontinuierlich ab und lag 2004 bei 17,8 Mio. m³ (vergl. Graphik nächste Seite). Dieser Bedarf wird von den 3 derzeit voll einsatzfähigen Wasserwerken selbst bei mehrwöchigem Ausfall eines Wasserwerks (WW) gedeckt (erlaubte Fördermenge in Mio. m³/Jahr: WW Hardtwald 10,0 — WW Mörscher Wald 7,6 — WW Rheinwald 17,5). Allerdings nahm die Wasserabgabe an das Umland (Weiterverteiler) in den zurückliegenden Jahren kontinuierlich zu. Soll WW Kastenwört dazu beitragen, dass die Stadtwerke in Zukunft deutlich mehr Trinkwasser ins Umland liefern können? Als Vertreter der Stadtwerke erläuterte Dr. Mathias Maier hierzu im Rheinstettener Gemeinderat, die tägliche durchschnittliche Wasserabnahme würde von knapp 65.000 m³ auf 88.000 m³, d.h. um 35 %, steigen (BNN Ettlingen, 24.11.2005). Das betriebswirtschaftliche Interesse der Stadtwerke scheint hier auf das öffentliche Interesse, nämlich einen nachhaltigen Grundwasser- und Hochwasserschutz, zu treffen.
Die Natur- und Umweltschutzverbände BUND, LNV und NABU stehen hinter dem Integrierten Rheinprogramm IRP des Landes Baden-Württemberg. Dieses besagt: “Es ist eine geschlossene Konzeption zur Wiederherstellung des Hochwasserschutzes und — gleichrangig — für die Erhaltung und Renaturierung auetypischer Biotopsysteme in einer lebensfähigen Rheinlandschaft zu entwickeln und zügig zu verwirklichen”. Der Rückhalteraum Bellenkopf/Rappenwört ist von den 13 Räumen des IRP aufgrund seiner Lage und Form der einzige, in dem — als Variante I — beide Ziele des IRP umgesetzt werden können.
Für Variante I sprechen außerdem ihre bessere Umweltverträglichkeit und die niedrigeren Baukosten. Zusammen mit den anderen Räumen des IRP stellt sie den 200-jährlichen Hochwasserschutz wieder her und gleicht bei Rheinkontamination auftretende Nachteile durch bessere Durchströmung weitgehend aus. Deshalb favorisieren die Verbände die Variante I.
Sie betonen, dass die Nachteile der Variante I für den Hochwasserschutz erst bei Hochwässern zum Tragen kommen, die seltener als alle 200 Jahre auftreten und erinnern daran, dass der bis 1955 bestehende 200-jährliche Hochwasserschutz, nachdem inzwischen 3 Rückhalteräume einsatzbereit sind, gerade einmal bei 120 Jahren angelangt ist. Deshalb fordern die Verbände, die noch ausstehenden 10 Räume zügig fertig zu stellen.
Hinsichtlich der Gefährdung durch kontaminiertes Rheinwasser geben die Verbände zu bedenken, dass die Rheinanliegerstaaten nach dem Sandoz-Unfall erhebliche Verbesserungen erreicht haben. Seit 1986 hat sich kein vergleichbarer Vorfall ereignet und die Rheinwasserqualität ist heute deutlich besser. Auf diesem Weg muss im Interesse aller Rheinanlieger fortgeschritten werden, insbesondere jener, die auf Rheinuferfiltrat für ihr Trinkwasser angewiesen sind.
Gastbeitrag von Dorothea Harms, BUND Regionalverband Mittlerer Oberrhein
Dies ist ein Artikel der Karlsruher Zeitschrift umwelt&verkehr 3/06
Stand des Artikels: 2006! Der Inhalt des Artikels könnte nicht mehr aktuell sein, der Autor nicht mehr erreichbar o.ä. Schauen Sie auch in unseren Themen-Index.