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Im Jahr 2007 ist der Flächenverbrauch in Baden-Württemberg wieder sprunghaft angestiegen und liegt bei über 10 Hektar pro Tag. Trotz aller politischer Appelle zum Flächensparen wird weiter fleißig auf der grünen Wiese gebaut, wie das Beispiel der gigantischen Fleischfabrik von Edeka auf Rheinstettener Gemarkung zeigt. Dort werden 20 Hektar Ackerfläche mit einem riesigen Industriekomplex bebaut. Betrachtet man einmal das Verhalten der am Bauvorhaben Beteiligten, dann wird klar, warum eine Reduzierung des Flächenverbrauchs in Deutschland nicht in Sicht ist.
Die Landespolitiker hören nicht auf, einen sparsamen Flächenverbrauch zu predigen. Ministerpräsident Oettinger sagte: „Wenn wir nicht aufpassen, entstehen auf der grünen Wiese mit Wohn- und Gewerbegebieten die Altlasten von morgen“. Landwirtschaftsminister Hauk, dessen Idee es war, Edeka auf den Flächen der landeseigenen Versuchsanstalt anzusiedeln, äußerte noch im August: „Es geht nicht mehr um politische Appelle. Es geht vielmehr um die konkrete Umsetzung des von der Landesregierung formulierten Ziels, den Flächenverbrauch einzudämmen.“ Seiner Meinung nach sind hier vor allem die Kommunalpolitiker gefordert, da diese die Planungshoheit haben. Im Falle der Ansiedlung von Edeka hätte jedoch die Landesregierung alle Fäden in der Hand, die Bebauung auf der grünen Wiese zu verhindern.
Mit einem Versprechen von Arbeitsplätzen und Gewerbesteuereinnahmen in Millionenhöhe war der Gemeinderat Rheinstettens durch Minister Hauk und Edeka schnell überzeugt. Eine Entscheidung wurde getroffen, schon lange bevor das offizielle Verfahren eröffnet wurde und die Fakten und Details bekannt waren. Eine Abwägung im eigentlichen Sinne fand nie statt. Zwischen den Kommunen herrscht ein Konkurrenzkampf um die Ansiedlung von Gewerbe.
Für die Ansiedlung eines Industriebetriebes auf der grünen Wiese gibt es keine Kritik, sondern Glückwünsche von den Nachbargemeinden. Sogar die dem Bauvorhaben benachbarte und betroffene Messegesellschaft Karlsruhe gratuliert Rheinstetten (nachzulesen bei den Einwendungen der Träger öffentl. Belange im Bebauungsplanverfahren).
Dem Regierungspräsidium kommt die Schlüsselfunktion im ganzen Verfahren zu.
Auf der einen Seite vertritt es die Interessen des Landes, das die Fleischfabrik von Edeka auf diesen Flächen ansiedeln möchte. Das Regierungspräsidium hat in einem mehrmonatigen Verfahren Flächen passend zu den Anforderungen von Edeka gesucht. Laut Landwirtschaftsminister Hauk war die Behörde Dienstleister für Edeka. Auf der anderen Seite übernimmt das Regierungspräsidium Kontrollfunktion und beaufsichtigt die Träger der Bauleitplanung. Es überwacht auch die Einhaltung der Vorschriften zum Arten- und Grundwasserschutz und führt das erforderliche große immissionsschutzrechtliche Verfahren durch.
Im Schnellverfahren wird eine Ausnahmegenehmigung nach der anderen erteilt:
Das Werk soll im Wasserschutzgebiet gebaut werden und die Wasserschutzverordnung wird nicht eingehalten. Eine Ausnahmegenehmigung wird vom Regierungspräsidium erteilt.
Das Werk soll in einen schutzbedürftigen Bereich für die Erholung gebaut werden. Eine Abweichung von diesem verbindlichen Ziel der Raumordnung wird vom Regierungspräsidium genehmigt. Aus naturschutzfachlicher Sicht kann das Werk nicht auf dieser Fläche gebaut werden, da es erhebliche Probleme mit den Ausgleichsflächen und seltenen Vogel- und Fledermausarten gibt. Auch hier erteilt das Regierungspräsidium kurzfristig eine Ausnahmegenehmigung.
Die Ausnahmegenehmigungen für die Zielabweichung und den Artenschutz wurden monatelang gar nicht als erforderlich angesehen. Erst als auf Druck der Bevölkerung, des BUND und eines mutigen Gutachters auf diese Missstände hingewiesen wurde, wurde das Regierungspräsidium nochmals tätig. Damit ja keine Umweltverträglichkeitsprüfung für das Bauvorhaben durchgeführt werden muss, legt das Regierungspräsidium die überbaute Fläche im Bebauungsplan auf 99.999 m² fest (denn ab 100.000 m² muss eine Umweltverträglichkeitsprüfung zwingend durchgeführt werden).
So kann es gehen, wenn ein und dieselbe Behörde Dienstleister für die Industrie und Kontrollbehörde ist.
Falls doch jemand gegen diese Vorgehensweise klagen wollte, kann das Regierungspräsidium nach §8a BImSchG eine vorgezogene Baugenehmigung erteilen, auch wenn das immissionsschutzrechtliche Verfahren noch nicht abgeschlossen ist (wie beim Kohlekraftwerk im Rheinhafen geschehen). So werden Fakten geschaffen und der letzte Widerstand demoralisiert — denn, wer glaubt schon an einen Rückbau.
Der Regionalverband ist verantwortlich für eine strukturierte und nachhaltige Entwicklung unserer Region Mittlerer Oberrhein. Als wichtigstes Instrument für diese Entwicklung dient der Regionalplan. Die Fläche ist im Regionalplan als schutzbedürftiger Bereich für die Erholung ausgewiesen. Laut Raumordnungsgesetz muss dieses Ziel von den Trägern der Bauleitplanung eingehalten und kann nicht abgewogen werden. Der Regionalverband sieht aber keinen Konflikt zwischen dem Fleischwerk und diesem Ziel, da eine Bebauung des schutzbedürftigen Bereichs nicht explizit ausgeschlossen sei. Tatsächlich ist der Bau von Erholungseinrichtungen unter Auflagen zulässig. Was eine Fleischfabrik mit Erholung zu tun hat, weiß ganz allein der Verband.
Wenn der Regionalplan auf diese Weise ausgelegt werden kann, ist er das Papier nicht wert, auf dem er geschrieben ist.
Der Nachbarschaftsverband ist gemeinsam mit Rheinstetten Träger der Bauleitplanung. Ihm unterliegt die Änderung des Flächennutzungsplans von landwirtschaftlicher Fläche in gewerbliche Baufläche. Stimmt er dieser Änderung nicht zu, würde die Fabrik nicht in das ausgewiesene Erholungsgebiet gebaut. Karlsruhe hat die absolute Mehrheit im Nachbarschaftsverband und könnte den Bau der Fabrik verhindern. Dies sogar mit gutem Gewissen, da das Erholungsgebiet im Regionalplan explizit für die Einwohner des Oberzentrums ausgewiesen wurde.
Edeka hat einen „Politikberater“ eingestellt, der bei jeder wichtigen Veranstaltung anwesend ist und viele Politiker persönlich begrüßt und „informiert“. Nicht vergessen darf man auch, dass Edeka erst noch im September einen Fünfjahresvertrag mit der Messe Karlsruhe abgeschlossen hat.
aus: UVS 2003 / openstreetmap.org © / Umweltbericht 2008 |
Die Gutachter wurden vom Regierungspräsidium ausgewählt und werden von Edeka bezahlt. Eine gewisse Skepsis gegenüber ihrer Objektivität ist angebracht. Das Gutachten für das Gewerbegebiet Neue Messe, dass direkt an die für Edeka beplante Fläche angrenzt, kommt auch tatsächlich in der Betrachtung der Schutzgüter zu lauter gegensätzlichen Bewertungen. Es gelten aber nur die jeweils „aktuellen“ Gutachten für die Bewertung eines Bauvorhabens. Es spielt also keine Rolle, dass die Gutachten über benachbarte Flächen zu ganz anderen Ergebnissen kamen. Die kumulativen Auswirkungen des Bauvorhabens werden bei den Edeka-Gutachten keineswegs berücksichtigt. Diese Vorgehensweise wird vom Gegengutachten des Nachbarschaftsverbandes als „Salamitaktik“ bezeichnet.
Die Regionalpolitiker sagen, so ein Vorhaben könne nur das Land stoppen, die Landespolitiker sagen so etwas müsse man lokal entscheiden.
Der Regionalverband lässt die Zielabweichung vom Regierungspräsidium prüfen, dieses beruft sich bei seiner Begründung wiederum auf die Stellungnahme des Regionalverbandes.
Rheinstetten versteckt sich hinter dem Regierungspräsidium und dem Verfahren „nach Recht und Gesetz“. Rheinstettens Bürgermeister gibt an, nur die Vorgaben des Gemeinderats umzusetzen. Die Gemeinderäte ihrerseits verweisen auf die Gutachter.
Die Gutachter berufen sich auf gesetzliche Vorschriften, die sie allerdings nach allen Regeln der Kunst so auslegen, dass die Ergebnisse ihrem Auftraggeber dienen. Falls es dann doch Probleme mit den Gesetzen gibt, erteilt das Regierungspräsidium Ausnahmegenehmigungen.
Die Firma Edeka verweist auf die Gutachten und auf die Zuständigkeit des Regierungspräsidiums, obwohl sie in ihren bunten Broschüren vorgibt, Verantwortung für die Umwelt zu übernehmen.
Irgendwann steht eine gigantischer Industriekomplex in einem ausgewiesenen Erholungsgebiet und niemand war verantwortlich!
Simulation Fleischfabrik |
Rheinstetten verhandelt mit dem Land über die restlichen 90 Hektar landwirtschaftlichen Flächen zwischen Rheinstetten und Karlsruhe. Die Absicht ist klar: Die Fleischfabrik soll nur der Auftakt zu einem riesigen Industrie- und Gewerbepark sein. Schon jetzt steht fest: die ICE-Strecke wird erweitert, die Kreisstraße K3581 wird verbreitert, eine Straßenbahntrasse ist in Planung und an den Erholungsschwerpunkt Epplesee wird ein Betonmischwerk gebaut.
Schon 2004 hat der Nachhaltigkeitsbeirat Baden-Württemberg, in dem anerkannte Fachleute, wie z. B. der Vorstand des Karlsruher Instituts für Technologie, Herr Dr.-Ing. Peter Fritz, tätig sind, eine konkrete Maßnahmenliste erstellt.
Schluss mit den politischen Parolen! Die Maßnahmen des Nachhaltigkeitsbeirats müssen endlich verbindlich umgesetzt werden.
Gastbeitrag von Manfred Einhaus für „Die Siedler von KA“
„Die Zeit der politischen Parolen ist vorbei“, fordert Landwirtschaftsminister Hauk mit Blick auf den Flächenverbrauch, der nach dem Willen der Landesregierung dauerhaft reduziert werden soll. Das Aktionsbündnis „Flächen gewinnen“ der Karlsruher Umweltverbände unterstützt dieses Ziel ausdrücklich. Der Gemeinderat der Stadt Karlsruhe hat am kommenden Dienstag die Chance, dies in die Tat umzusetzen. Die von EDEKA geplante Fleischfabrik vernichtet 20 ha Ackerland und wichtige Flächen für Erholung und Stadtklima. Wie in einer Salami-Taktik folgt die Fleischfabrik dem Projekt Neue Messe Karlsruhe und dem benachbarten Gewerbegebiet. Das Aktionsbündnis fordert daher den Gemeinderat und den Oberbürgermeister Fenrich nachdrücklich auf, der geplanten Änderung des Flächennutzungsplans in Rheinstetten nicht zuzustimmen.
PM Karlsruher Aktionsbündnis „Flächen gewinnen“, Karlsruhe, 17.9.2008
Dies ist ein Artikel der Karlsruher Zeitschrift umwelt&verkehr 3/08
Stand des Artikels: 2008! Der Inhalt des Artikels könnte nicht mehr aktuell sein, der Autor nicht mehr erreichbar o.ä. Schauen Sie auch in unseren Themen-Index.