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Alpinistische Fähigkeiten sind gefordert zum Erreichen dieses Bahnsteigs in Maxau |
Bei der Überschrift denken viele wohl an Rollstuhlfahrer und ihre Probleme im öffentlichen Verkehr. Manche mögen fragen, ob öffentliche Verkehrseinrichtungen hierfür aufwendig ausgebaut werden sollen, oder ob, wie ein mit dem Autor befreundeter Verkehrspolitiker meint, ein Behindertenfahrdienst vielleicht die bessere Lösung wäre.
Bei solchen Überlegungen übersieht man leicht, daß es außer Rollstuhlfahrern noch viel mehr Menschen mit eingeschränkter Mobilität gibt, für die eine längere Treppe ein unüberwindliches Hindernis darstellt. Hierzu gehören Menschen, die wegen (Alters-) Krankheiten die Knie nicht mehr beugen und belasten können, oder die sich beim Gehen auf Krücken stützen müssen. Aber auch gesundheitlich weniger stark eingeschränkte Menschen gehören dazu, wenn sie schwere Gegenstände mitführen, die sie zwar auf Rollen schieben oder ziehen, aber nicht eine längere Treppe hinauf tragen können: Kinderwagen, große Reisekoffer, gefüllte Einkaufsroller, Fahrräder. Auch der Autor kann wegen einer Muskelerkrankung keine schweren Gegenstände mehr tragen, so daß viele Orte, die er früher mit Bahn und Fahrrad gerne besuchte, jetzt wegen der Treppen unerreichbar sind.
Der Karlsruher Hauptbahnhof zeigt sich zweigeteilt: Die Gleise 1 bis 10 in der Bahnhofshalle sind vorbildlich mit Aufzügen und teils auch mit Rolltreppen ausgestattet. Nur über Treppen erreichbar sind die Gleise 11 bis 14 außerhalb der Halle, sowie die Gleise 101 bis 103 des "Pfälzer Bahnhofs".
Bei den Stationen Maxau, Knielingen, Mühlburg, und Karlsruhe-West ist nur jeweils einer von zwei Bahnsteigen barrierefrei zugänglich. Mobilitätseingeschränkte Reisende können dort also nur in jeweils eine Richtung fahren und müssen ihre Reisen genau planen. In Hagsfeld kann man alle Bahnsteige ohne Treppen nur erreichen, wenn man einen größeren Umweg über die Straßenbrücke mit einbezieht. In Durlach ist nur einer von 6 Bahnsteigen ohne Treppe erreichbar, nämlich der am Bahnhofsgebäude liegende, sogenannte Hausbahnsteig. Hier ist jedoch geplant, zur Inbetriebnahme der S-Bahn Rhein-Neckar im Winter 2003 die Bahnsteigzugänge behindertengerecht umzubauen.
Bei den größeren Orten und Umsteigestationen der Umgebung können nur die in den letzten Jahren erneuerten Bahnhöfe von Baden-Baden, Bühl, Achern, und Germersheim gute Noten erhalten. Alle Bahnsteige haben hier Rampen oder Aufzüge. Schlecht sieht es dagegen aus in Rastatt, Wörth, Winden, Landau, Graben-Neudorf, Bruchsal und Pforzheim. Hier haben alle Bahnsteige außer dem Hausbahnsteig nur Treppen.
Seit Jahrzehnten ist der bauliche Zustand dieser Bahnhöfe unverändert, und es sieht nicht so aus, als ob sich daran in nächster Zeit etwas ändern wird. Eine Ausnahme ist der Bahnhof von Bruchsal, der genauso wie Durlach für die S-Bahn Rhein-Neckar umgebaut werden soll.
Viele kleinere Ortschaften haben erfreulicherweise fast alle direkte Zugänge ohne Treppen. Sie profitieren oft von unmittelbar neben dem Bahnhof liegenden Bahnübergängen, Brücken oder Unterführungen für Straßen. Fast durchweg barrierefreie Zugänge haben die Stationen der neu eingerichteten S-Bahn-Linien, beispielsweise ins Murgtal.
Ebenerdiger Übergang im Bahnhof Wörth, Überschreiten der Gleise verboten |
Eine Verbesserung der Zugänge scheitert meist nicht am guten Willen der Betreiber, sondern an den Finanzen. Meist ist ein barrierefreier Umbau von Bahnhöfen nur im Rahmen von Verkehrsprojekten möglich (und bei Neubauten mittlerweile Pflicht), die mit Bundes- und Landesmitteln bezuschußt werden, beispielsweise die S-Bahn im Murgtal oder Rhein-Neckar.
Bei Bahnhöfen, für die solche Projekte nicht in Aussicht stehen, sollte deshalb überlegt werden, ob eine Verbesserung nicht auch kostengünstiger erreicht werden kann. Anstatt die Reisenden mit Fahrstühlen, Rolltreppen oder langen Rampen über oder unter die Gleise zu leiten, könnten diese die Gleise ebenerdig überqueren, solange kein Zug durchfährt.
Natürlich muß sich die jeweilige Situation am Bahnhof für eine solche Lösung eignen und man braucht Sicherungen. Im Großraum Karlsruhe gibt es viele existierende Beispiele für ebenerdige Übergänge mit unterschiedlichen Sicherungen:
Eine preiswerte Maßnahme sind Drängelgitter genannte Absperrungen. Sie zwingen den Reisenden zum Slalom, bei dem er nacheinander in beide Richtungen entlang des Gleises blickt und herannahende Züge erkennen kann. Diese Lösung setzt voraus, daß die Strecke weit einsehbar ist und sich die Züge langsam nähern. Eingesetzt sind sie bspw. auf den meisten Stationen im Murgtal.
Ist die Bahnstrecke wegen einer Kurve nicht weit genug einsehbar oder gibt es schnell durchfahrende Züge, so braucht man eine zusätzliche Sicherung, wenn sich ein Zug nähert. Dies kann ein Lichtsignal sein, wie bspw. in Bischweier, oder eine Schranke, wie bspw. in Kandel. In Forchheim wird mit einer Schranke sogar der Überweg über eine Hauptstrecke gesichert, auf der schnelle ICE und Güterzüge durchfahren!
Im Ausland gibt es, anders als in Deutschland, auch größere Bahnhöfe mit Gleisübergängen, die nur durch ein Warnschild gesichert sind, beispielsweise in Saint-Die in den Vogesen. Die Reisenden sind dort wohl daran gewöhnt,vor dem Überschreiten der Gleise Ausschau zu halten. Können das die Deutschen nicht?
Ebenerdiger Übergang im Bahnhof Kandel, gesichert mit Rollschranke |
Im Raum Karlsruhe gibt es einige Bahnhöfe, bei denen man die bisher fehlenden barrierefreien Zugänge schaffen könnte, indem man die ebenerdigen Übergänge am Ende der Bahnsteige wieder in Betrieb nimmt, die früher dem Bahnpersonal zum Queren mit Gepäckwägelchen dienten. In Landau, Wörth und Rastatt sind solche Übergänge noch erhalten, allerdings ist ihre Benutzung verboten, in Winden und Pforzheim sind sie entfernt worden.
Sicherlich kommt eine Wiederinbetriebnahme dieser Übergänge in Rastatt und Pforzheim nicht in Frage, da dort die Strecken stark befahren sind, auch von schnell durchfahrenden Zügen, und die Gleise in Kurven liegen.
In Landau, Winden und Wörth erscheint dagegen eine Nutzung dieser Übergänge als Ergänzung zu den Treppen möglich: Die Strecken sind weit einsehbar, die Züge fahren langsam in die Bahnhöfe, und es gibt keine schnell durchfahrenden Züge.
Da die Bahnhöfe mit Personal besetzte Stellwerke haben, könnten die Übergänge von dort aus überwacht und Signale oder Schranken von dort aus gesteuert werden. Die Signale oder Schranken könnten auch von den fahrenden Zügen automatisch gesteuert werden. In jedem Fall wäre eine solche Lösung billiger zu realisieren als der Einbau und Betrieb vonAufzügen.
Leider können solche Vorschläge leicht im Paragraphen-Dschungel der Vorschriften steckenbleiben wie der Eisenbahnbetriebsordnung (EBO) und zusätzlichen Betriebsvorschriften der Verkehrsbetreiber, also bspw. der DB. Bei den Genehmigungen gibt es einen großen Ermessensspielraum. An einem Ort realisierte Lösungen können an einem anderen vergleichbaren Ort auch abgelehnt werden. Zudem ändern sich die Vorschriften im Laufe der Zeit, so daß es früher realisierte Lösungen gibt, die zwar Bestandsschutz haben, die aber heute nicht mehr genehmigt würden.
Aber hoffentlich denken die Planer und Entscheider immer auch daran, daß es nicht nur um das Erfüllen von Vorschriften geht, sondern um die Lebensqualität der großen Gruppe von Menschen mit eingeschränkter Mobilität, zu der sie selbst vielleicht auch einmal gehören.
Dies ist ein Artikel der Karlsruher Zeitschrift umwelt&verkehr 2/03
Stand des Artikels: 2003! Der Inhalt des Artikels könnte nicht mehr aktuell sein, der Autor nicht mehr erreichbar o.ä. Schauen Sie auch in unseren Themen-Index.