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Der ADFC (Allgemeiner Deutscher Fahrrad Club) versteht sich als die Interessenvertretung der Alltagsradler. Aber gibt es DEN Alltagsradler heute überhaupt noch? Oder haben sich die Radler nicht mittlerweile in ganz unterschiedliche Gruppen aufgespalten, die einander mit Unverständnis, wenn nicht gar mit Verachtung begegnen? Schauen wir uns doch einmal die seltsamen Gestalten genauer an, die sich statt auf 2 Beinen auf 2 Rädern fortbewegen.
Der traditionelle Radler gehört zu einer aussterbenden Gattung. Er hat sein Fahrrad in seiner Jugendzeit, also in den 60iger oder 70iger Jahren gekauft und fährt seitdem täglich damit zur Arbeit. Das heißt, zur Arbeit eigentlich nicht mehr, weil er mittlerweile im Ruhestand ist. Das Fahrrad ist ausgestattet mit allem, was früher gut und modern war: Stahl-Rahmen, Stahl-Felgen, 3-Gang-Nabenschaltung, Ledersattel. Zu finden sind auch einige liebenswerte Details wie beispielsweise Bürstenringe zum Putzen der Radnaben.
Der traditionelle Radler betrachtet sein Rad als eine Anschaffung fürs Leben, was zur Folge hat, dass die technischen Weiterentwicklung der letzten 30 Jahre spurlos an ihm vorüberging. Das stört ihn aber gar nicht, denn was man früher nicht hatte, braucht man heute auch nicht, oder? Das Fahrrad ist in einem hervorragenden technischen Zustand, selbstverständlich funktionieren Schaltung, Bremsen und Beleuchtung. Na ja, die Bremse ist etwas schwächlich und die Beleuchtung funzelig, aber so war es ja schon seit jeher, warum also daran etwas ändern?
Der traditionelle Radler pflegt einen sehr pflichtbewussten Fahrstil und hält sich genauestens an die Verkehrsregeln. Er fährt nur auf der rechten Seite und gibt beim Abbiegen ein Zeichen mit dem ausgestreckten Arm, was außer ihm heute keiner mehr tut.
Seine Kleidung ist unauffällig, damit er, sobald er absteigt, nicht als Radler erkennbar ist. Er bevorzugt Kleidung aus Baumwolle, die zwar ungünstig ist, wenn man schwitzt, aber er radelt ja sowieso sehr gemächlich.
Der Mountainbiker ist das krasse Gegenteil des traditionellen Radlers. Das beginnt schon mit der Sprache: Er radelt nicht etwa auf einem Fahrrad, das er in einem Fahrradgeschäft gekauft hat, sondern er bikt auf einem Bike, das er in einem Bike-Shop gekauft hat. Das Bike ist weit über 1000 Euro wert und selbstverständlich mit den modernsten Komponenten ausgestattet: 27 Gänge, hydraulische Scheibenbremsen, Vollfederung.
Seltsamerweise verzichtet der Mountainbiker aber auf alle Ausstattungsteile, die sein Bike für praktische Zwecke nutzbar machen würden: Ein Gepäckträger fehlt ebenso wie ein Spritzschutz, eine Beleuchtung oder ein Ständer. So muss er sein Gepäck wie einst die Esel auf dem Rücken tragen, was einen teuren Bike-Rucksack mit Rückenbelüftungssystem erfordert. Der im übrigen schwerer ist als der eingesparte Gepäckträger. Wegen des fehlenden Ständers muss er sein Bike immer auf dem Erdboden ablegen, wobei es schmutzig wird. Schmutzig wird auch der Mountainbiker selbst, wenn er durch Schlamm und Pfützen fährt. Das stört ihn aber mitnichten, denn die Schlammkruste auf Kleidung und Körper trägt er als Ehrenzeichen.
Den Verzicht auf die nützlichen Ausstattungsteile begründet der Mountainbiker mit dem eingesparten Gewicht. Er übersieht allerdings, dass das eingesparte Gewicht nur wenige Prozent des Gesamtgewichts von Fahrer und Fahrrads ausmachen, und der hauptsächliche Ballast ohnehin der Bauch des Fahrers ist. Der Fahrstil des Mountainbikers ist sportlich, denn er ist immer im Training, selbst wenn er nie im Leben ein wirkliches Rennen fährt. Da er sich als Sportler und nicht als Verkehrsteilnehmer fühlt, beachtet er die Verkehrsregeln nur flüchtig, es ist ja auch uncool, etwa beim Abbiegen den Arm rauszuhalten.
Durch seine Kleidung ist ein Mountainbiker schon kilometerweit als solcher zu erkennen: Er trägt immer eine kurze Radlerhose, selbst im Winter, dazu ein schreiend buntes Hemd, sorry: ein Bike-Shirt, beides unbedingt aus Polyester-Funktionsstoffen zur Optimierung der Hautatmung. Dazu trägt er immer einen Helm, selbst wenn er gar nicht im Gebirge, sondern im flachen Oberwald unterwegs ist.
Das Fahrrad des Reiseradlers ist ähnlich teuer und technisch hochwertig wie das des Montainbikers. Im Gegensatz zu diesem ist es aber reichhaltig mit Anbauten ausgestattet. So hat der Reiseradler nicht nur einen Gepäckträger hinten, sondern auch Lowrider-Gepäckträger an den Seiten des Vorderrades. Auf diese Weise kann er das für die Sahara-Durchquerung benötigte, reichliche Gepäck gleichmäßig auf das Fahrrad verteilen.
Zwar fährt der Reiseradler nur in den seltensten Fällen wirklich in die Sahara, sondern viel eher mit leichtem Gepäck an den Rhein. Aber allein durch die Anwesenheit der Lowrider-Gepäckträger zeigt der Reiseradler, dass er in der großen weiten Welt zu Hause ist. Oder zumindest da gerne zu Hause wäre. Den gleichen demonstrativen Zweck erfüllen die reichlich angebauten Flaschenhalter, die man für eine Sahara-Durchquerung unbedingt braucht. Auch wenn man seinen Flüssigkeitsbedarf sonst eher bei einer Einkehr in der Gastwirtschaft deckt.
Sein Gepäck transportiert der Reiseradler auf keinen Fall wie der Mountainbiker mit einem Rucksack. Sondern er benutzt immer die roten Gepäcktaschen eines bekannten Herstellers, deren wichtigste Eigenschaft neben dem hohen Gewicht ist, dass sie 100% wasserdicht sind. Das ist wichtig, falls es in der Sahara mal kräftig regnet.
In Kleidung und Verhalten im Alltag ist der Reiseradler eher unauffällig. Als welterfahrener Radler hat er es gar nicht nötig, besonders auf sich aufmerksam zu machen, seine Visitenkarte ist sein Fahrrad, das den Ruf der großen weiten Welt ausstrahlt.
Der Schrottradler fährt ein Gerät, dessen rostiger Rahmen und zwei eiernde Räder es zwar als Fahrrad ausweisen, dessen weitere Teile aber eher den Charakter eines rollenden Schrottlagers haben: Die Gangschaltung hat eine unbekannte Zahl von Gängen, unbekannt deshalb, weil nur noch ein Gang funktioniert. Von der ebenfalls unbekannten Zahl der Bremsen funktioniert ebenfalls höchstens eine, wenn überhaupt, was die Fahrt besonders spannend macht. Die defekte Klingel stört nicht, denn sie wird bestens ersetzt durch das laute Klappern und Scheppern von losen Schutzblechen sowie durch das nervtötende Quietschen der rostigen Kette. Der Scheinwerfer, sofern überhaupt vorhanden, hängt schlaff herunter und guckt in Richtung Reifen, was aber gar nicht stört, da er durch das abgerissene Kabel sowieso keinen Strom vom fehlenden Dynamo erhält.
Ein unschätzbarer Vorteil des Schrottrades, das kein anderer Fahrradtyp bieten kann, ist sein eingebauter Diebstahlschutz. Kein Dieb wird ein solches Rad mitnehmen, selbst wenn man als Zugabe noch einen 10-¤- Schein auf den Gepächträger klemmt. Das Schrottrad ist deshalb ideal geeignet als Bahnhofsrad, auf dessen Fahrradstellplatz man es in großer Zahl findet.
Der Fahrstil des Schrottradlers ist passend zu seinem Fahrzeug durch einen großzügigen Umgang mit den Verkehrsregeln gekennzeichnet: Wo Platz ist, wird gefahren. Das Risiko eines Zusammenstoßes nimmt der Schrottradler gerne in Kauf, da an seinem Fahrrad gar nichts mehr kaputt gehen kann.
Leider reicht hier der Platz nicht mehr, noch weitere Typen zu besprechen. Beispielsweise die Rennradler, die so weit vornüber gebeugt radeln, dass sie während der Fahrt nur den Alphalt, nie aber den Himmel sehen können. Oder die Liegeradler, die umgekehrt nur den Himmel, nicht aber die Straße mit ihren Schlaglöchern sehen.
Man mag die Aufspaltung der Radler in die verschiedenen Gruppen mit ihren seltsamen Eigenarten zwar befremdlich finden. Es bleibt aber festzuhalten, dass sie sich alle umweltfreundlich und gesund fortbewegen. Deshalb sind auch alle eingeladen, sich dem ADFC anzuschließen. Na ja, fast alle.
Wolfgang Melchert
ADFC Kreisverband Karlsruhe
Dies ist ein Artikel der Karlsruher Zeitschrift umwelt&verkehr 2/05
Stand des Artikels: 2005! Der Inhalt des Artikels könnte nicht mehr aktuell sein, der Autor nicht mehr erreichbar o.ä. Schauen Sie auch in unseren Themen-Index.