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Küchenmesserkauf nur noch mit dem Taxi?

Die „Waffe“ in Originalgröße; Foto: Reiner Neises

Vor nicht allzu langer Zeit hat mir jemand eine Werkzeugsammlung im Scheckkartenformat für unterwegs geschenkt, 8,5 x 5,5 cm klein. Äußerst praktisch. Sechs Teile sind darin untergebracht, von Schere über Pinzette bis hin zum Kugelschreiber. Und auch ein kleines Schweizer Messer mit einer Gesamtlänge von 8 cm, einer Länge der Klinge von knapp 4 cm und einem Gewicht von 3 bis 4 Gramm.

Die großzügige Schenkerin hat ebenfalls solch ein Utensil in der Handtasche, jederzeit griffbereit. Was sie nicht ahnte: Seit dem 24.7.2025 handelt sie ordnungswidrig, wenn sie damit in ein Verkehrsmittel des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) in Baden-Württemberg steigt, also alle Regionalbahnen und Linienbusse. Seitdem ist das „Führen von Messern“ dort verboten und kann mit einem Bußgeld bis zu 10.000 € geahndet werden — unabhängig von der Größe oder Kleinheit des Messers.

Ausnahmen? Gibt es. Wer nach deren Inhalt sucht, ist allerdings erst einmal eine Weile beschäftigt. Auf den Internetseiten des Landes findet man nur eine Pressemitteilung ohne den konkreten Verordnungstext oder einen Link. Wer als professionell geübter Nutzer den Weg zur Sammlung des Landesrechts irgendwo in den weiten Sphären des Webs findet, ist allerdings auch nicht gleich zwingend schlauer. Es gibt einen Katalog von Ausnahmen etwa für Rettungskräfte, Kunstschaffende und Gewerbetreibende, wenn sie das Messer im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit führen, und für die vielen gastronomischen Betriebe in den Verkehrsmitteln des ÖPNVs in Baden-Württemberg. Oder auch für das Führen des Messers im Zusammenhang mit der Brauchtumspflege (was auch immer das ist), der Jagd, der Fischerei oder der Ausübung des Sports. Aber was ist mit dem Otto-Normal-Reisenden? Die Antwort findet sich in Nr. 2 der verklausulierten Ausnahmen: „Ausgenommen sind ... Personen, die ein Messer nicht zugriffsbereit nach Anlage 1 Abschnitt 2 Nummer 13 des Waffengesetzes von einem Ort zum anderen befördern“. Alles klar? Noch nicht? Weitersuchen!

Das Waffengesetz ist nicht Landes-, sondern Bundesrecht. Und Nr. 13 enthält eine sog. Legaldefinition dafür, wann ein Messer „nicht zugriffsbereit“ ist, und zwar, „wenn es nur mit mehr als drei Handgriffen erreicht werden kann“. Jetzt verstanden? Nein? Macht nichts. Auch ich kann als promovierter Jurist mit zwei Prädikatsexamina den konkreten Inhalt und vor allem den Sinn dieser Regelung nicht erklären. Allerdings habe ich große Zweifel, ob diese Regelung einer Überprüfung am Maßstab des Willkürverbots aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz standhält.

Klar ist: „Mehr als drei Handgriffe“ müssen mindestens vier sein. Die Schenkerin, die das Scheckkartenwerkzeugteil mit einem Griff aus der Handtasche nehmen und mit einem weiteren Griff das Minimesser dort herausziehen kann, hat schlechte Karten. Und ganz übel sieht es mit den „echten Männern“ aus, von denen „jeder“ — habe ich mir sagen lassen — immer ein Taschenmesser dabei hat. Denn wenn ich ein Messer stets dabei habe, „befördere“ ich es wohl kaum „von einem Ort zum anderen“, selbst wenn es so gut eingesteckt ist, dass ich es nur mit vier Handgriffen „erreiche“. Da der Gesetzeswortlaut nicht verlangt, dass das Messer einsatzbereit sein muss, sondern nur „erreicht“, kann auch das Aufklappen des Taschenmessers nicht mehr bei der Zahl der rettenden „Handgriffe“ einberechnet werden.

Jetzt gehöre ich nicht zu den besagten „echten Männern“, müsste mir aber, wenn ich verreise, gut überlegen, wie ich mein Messer in der Scheckkarte so verpacke, dass ich nicht ordnungswidrig handele, sobald ich mit der Tram zum Bahnhof fahre. Benutzen darf ich das Minimesser im Regionalzug jedenfalls nicht mehr. Das gilt auch für die Schere, um einen Faden abzuschneiden, oder für den Kugelschreiber. Denn dann komme ich mit einem Handgriff auch an das Minimesser und es gilt höchste Gefahr für die öffentliche innere Sicherheit, die durch die neue Verordnung angeblich geschützt werden soll. Das gilt erst recht, falls ein „echter Mann“ mit seinem Taschenmesser einen Apfel schneiden und essen will. Und Vorsicht vor Wanderern oder Fahrradtouristen, die ihre Verpflegung nicht bereits mundgerecht zubereitet haben und zur Anreise den Regionalzug benutzen. Von ihnen droht jetzt häufig höchste Gefahr. Jedenfalls bis zur Landesgrenze am Rhein. Danach löst sich die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit plötzlich in Luft auf. Welche Erleichterung.

Glücklich schätzen kann sich, wer ein neues Küchenmesser braucht und einen Fachhändler oder eine private Verkäuferin auf dem Flohmarkt findet, die das Messer idiotensicher so einpacken, dass es nur mit mindestens vier Handgriffen wieder ausgepackt werden kann. Ansonsten gilt: Heimtransport nur noch mit dem Taxi. Aber Vorsicht! Nicht das falsche Taxi bestellen. Ein Anrufsammeltaxi ist wieder ausdrücklich ÖPNV im Sinne der Verordnung. Zurückgreifen könnte ich auch auf Carsharing. Ob die Gefahr für die Öffentlichkeit dann wohl geringer ist, wenn ich mich nach acht Jahren ohne Fahrpraxis wieder selbst an das Steuer eines Autos setze?

Es bleibt die Frage, ob der baden-württembergische Ministerrat nicht besser daran getan hätte, statt des Messerverbots ein Verbot von Neuregelungen zu erlassen, bei denen es um reinen Aktionismus geht. In einer Zeit, in der die Mär vom Bürokratieabbau gebetsmühlenartig genutzt wird, um viele sinnvolle Regelungen insbesondere zum Schutz unserer Umwelt in Frage zu stellen, sollte man wohl erst recht auf solche unsinnigen Neuregelungen verzichten. Glaubt etwa jemand ernsthaft, dass ein Täter, der ein Verbrechen begehen will, sich durch das Messerverbot im ÖPNV davon abhalten lässt? Wie wenig das Verbot bringt, haben schon die vermeintlichen Erfolgsberichte zu den Messerverboten in der Stuttgarter und der Mannheimer Innenstadt belegt. In Stuttgart werden mit einem enormen polizeilichen Aufwand regelmäßig Schwerpunktkontrollen durchgeführt. Reflektiert man die mitgeteilten Zahlen, stellt sich heraus, dass pro Aktionstag oder Wochenende im Schnitt ungefähr ein Messer gefunden wird. Die Wahrscheinlichkeit, dass ausgerechnet dieser eine Messerträger eine Straftat begehen wollte, geht gegen null.

Kaum in Kraft getreten sind beschwichtigende Stimmen zu vernehmen, die meinen, das Messerverbot sei ohnehin kaum zu kontrollieren und die Wahrscheinlichkeit, erwischt und belangt zu werden, gering. Macht es das besser? Sicher nicht. Ordnungswidrigkeit ist Ordnungswidrigkeit, der Vorwurf einer Ordnungswidrigkeit unter Bußgeldandrohung daher nicht trivial. Und eine äußerst gefährliche Argumentation. Auch Schwarzparken, Parken auf Geh- und Radwegen, Überholen der Radfahrenden mit 50 cm „Sicherheitsabstand“, Rasen durch geschlossene Ortschaften und vieles mehr werden schließlich nicht besser dadurch, dass die Übeltäter selten erwischt werden und die Polizei Desinteresse daran zeigt.

www.landesrecht-bw.de/perma?j=WaffÖPNVVerbotV_BW
und
www.gesetze-im-internet.de/waffg_2002/

Reiner Neises

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