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Läßt Weinbrenner uns im Regen stehen?

Denkmalschutz und öffentlicher Verkehr

Eine Glosse von Wolgang Melchert

An der wichtigsten Haltestelle (Marktplatz) einer namhaften Großstadt (Karlsruhe) steht ein Fahrgast am Bahnsteig Richtung Hauptbahnhof. Es regnet. Der Fahrgast wird naß. Er findet keine Unterstellmöglichkeit, ebensowenig eine Abfahrten-Anzeigetafel, und der nur wenige Zentimeter hohe Bahnsteig ist der niedrigste weit und breit.

Sollte in einer Stadt mit ansonsten vorbildlichem öffentlichen Nahverkehr hier nicht eine Verbesserung möglich sein? Leider nein, denn der Denkmalschutz erlaubt es nicht. Der Marktplatz soll so erhalten bleiben, wie ihn der alte Weinbrenner einst gebaut hat. Weinbrenner ist also Schuld, er läßt uns im Regen stehen.

Was wäre denn, wenn es zu Weinbrenners Zeiten schon Straßenbahnen gegeben hätte? Hätte er nicht vielleicht eine künstlerisch ansprechende überdachte Haltestelle geschaffen? Die dann ihrerseits heute unter Denkmalschutz stände?

Andererseits, wenn es zu Weinbrenners Zeiten den Denkmalschutz schon gegeben hätte, hätte er den Marktplatz gar nicht erst bauen können. Denn dort stand vorher die Hofkapelle, wahrscheinlich denkmalgeschützt. Und überhaupt hätte der alte Karl seine Stadt gar nicht bauen können, wenn der Hardtwald damals schon unter Schutz gestanden hätte.

Was sagen uns diese Überlegungen? Eine Stadt ist etwas lebendiges, hier leben Menschen. Jede Generation hat das Recht, in ihrer Stadt Veränderungen vorzunehmen. Selbstverständlich sollte man dabei behutsam vorgehen und nicht leichtfertig das historische Erbe zerstören, wie beispielsweise beim Abriß des "Dörfle". Ein gläsernes Haltestellendach und ein höherer Bahnsteig auf dem Marktplatz sollten aber doch möglich sein.

Unter dem Denkmalschutz leidet auch die Mobilitätszentrale und KVV-Kundenzentrale am Marktplatz. Auf sie weist nur ein winziges Schild hin, dunkelgrau auf hellgrau vor beigem Hintergrund. Auffälligere Hinweise verbietet der Denkmalschutz. Damit ist sie so gut getarnt, daß ein Fremder sie kaum entdeckt, selbst wenn er nur 50 Meter entfernt steht. Dafür sieht man großformatige Leuchtschilder an Sparkasse, Dresdner Bank und Modehaus Schöpf. Warum dürfen die, was der Mobilitätszentrale verweigert wird? Bitte etwas mehr Gerechtigkeit, der alte Weinbrenner würde bestimmt ein Auge zudrücken.

Wolfgang Melchert

Dies ist ein Artikel der Karlsruher Zeitschrift umwelt&verkehr 3/03

Stand des Artikels: 2003! Der Inhalt des Artikels könnte nicht mehr aktuell sein, der Autor nicht mehr erreichbar o.ä. Schauen Sie auch in unseren Themen-Index.

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