Achtung! umwelt & verkehr ist Ende Aug./Anf. Sept. '24 umgezogen! Sollte etwas noch nicht funtionieren: Bitte melden!
Parallelbetrieb für einen Tag bei Eröffnung; Foto: Heiko Jacobs |
Ich bin etwas später, ca. 1995, mit einem eigenen Alternativvorschlag (Zirkel) tiefer in das Thema U-Strab eingestiegen und nach dem gewonnenen ersten Bürgerentscheid 1996 auch in den VCD (und ADFC und HPV). Ich blieb auch nach dem zweiten verlorenen Bürgerentscheid 2002 U-Strab-Gegner und sehe das Ergebnis der Kombilösung als Citybewohner nicht ganz so rosig ...
Ja, die Kriegsstraße hat durch den Umbau gewonnen! Die Notwendigkeit eines Umbaus war aber eigentlich nie strittig, allenfalls die Art des Umbaus bei einigen, die die Straße mit ihrem Tunnel weiterhin für eine autozentrierte Planung halten — Verkehrswende wäre eigentlich was anderes ... Der Radverkehr hat jetzt deutlich mehr Platz, wobei die umgesetzten Standards aus den Zeiten der Planung der Kombilösung (2006) mittlerweile als veraltet gelten.
Auch ist der Stadtbahntunnel recht „schön“ geworden, verglichen mit anderen U-Bahn-Systemen, denn auf Bahnsteigebene ist er viel heller als anderswo gestaltet.
Ansonsten haben die Gegner oft Recht behalten. Die Zeitplanung hat beim Stadtbahntunnel nie wirklich funktioniert. Viele Verzögerungen haben Anwohner, Pendler, Kunden und Fahrgäste deutlich stärker belastet als damals versprochen. Dass man von den Baustellen kaum etwas mitkriegt, war falsch. Die Abzweige waren deutlich länger als angekündigt stillgelegt, die oberirdische Strecke der Ettlinger Straße wurde nicht bis zur Eröffnung wieder hergestellt: jahrelang nur Busse auf einer Hauptachse.
Die Attraktivität der City und — auch wegen der häufig wechselnden Umleitungen — vor allem die Zuverlässigkeit des öffentlichen Verkehrs haben stark gelitten, die Fahrgastzahlen sind gesunken. „Lachender Dritter“ war der angewachsene Radverkehr, auch, aber sicher nicht nur wegen der stetigen Verbesserungen. Insgesamt bleibt mir die Bauphase als Serie gebrochener Wahlversprechen in Erinnerung.
Das gilt ganz besonders für die Finanzen! In den Bürgerentscheid ging man noch mit 530 Mio. € bei 85 % Förderung, was einen Eigenanteil von rund 80 Mio. € ergeben hätte. Für den Förderantrag Ende 2004 wurde es wundersamerweise billiger: 495 Mio. €. 2008 kam der Bescheid, die Förderung war zwischenzeitig auf 80 % gesunken und es kam raus, dass gar nicht alles gefördert wird. Parallel gab es eine neue Schätzung über 588 Mio. €. Nun, Steigerungen bei so langlaufenden Projekten sind relativ normal und auch nicht wirklich zu vermeiden. Es blieb aber leider nicht bei diesem „normalen“ Anstieg. Die Schlussrechnung fehlt wohl noch, aber die Kosten stiegen rasant. 2020 waren die 1,5 Mrd. € erreicht, rund das Dreifache. Schlimmer ist der noch stärker gestiegene Eigenanteil, der laut Presse 600 Mio. € in 2020 erreicht haben soll.
Das muss abgestottert werden. Dass sich die U-Strab aus Erlösen der Stadtwerke finanzieren kann, wie versprochen, hätte mit 80 Mio. € so la la funktionieren können, mit der heutigen Summe längst nicht mehr. Für die Pacht der VBK an die KASIG für U-Strab und Tram in der Kriegsstr. finden sich mindestens 25 Mio. €, 30 Mio. € laut BNN. Damit kommt ein Viertel bis ein Drittel des aktuellen Defizits von rund 100 Mio. € aus der Kombilösung. Das Defizit hat sicher auch eine Reihe von anderen Ursachen wie Fahrgastrückgang (s. o.) und Deutschlandticket bei den Einnahmen und gestiegene Lohn- und Energiekosten etc., aber die aktuelle Diskussion, ob der 10-Minuten-Takt und das Linienangebot allgemein bei diesem Defizit noch gehalten werden kann, gäbe es vermutlich (noch) nicht, wäre die U-Strab nicht abzuzahlen! Man kann also sagen, dass die U-Strab die Zukunft unseres vorbildlichen ÖV gefährdet, wenn die Stadt nicht die gewollte „Stadtverschönerung“ zahlt.
Und was hat sie Positives bringen sollen? Auf das schöne Flanieren muss man noch paar Jahre warten, da die beim Bau runtergerockte Kaiserstraße noch saniert wird. Dabei verliert sie leider auch die restlichen Platanen, unter denen man besser hätte flanieren können in künftigen Sommern. Und muss man wirklich in der nun bahnfreien Mitte flanieren? In Stuttgarter Königstraße und Ettlinger-Tor-Center geht's nicht, denn Händler hätten die Kunden lieber in Ladennähe gedrängt, damit sie dort kaufen. Wären zur Entspannung nicht Nebenstraßen und Grünanlagen besser? Ob das Endergebnis in ein paar Jahren dem durch Online geschwächten Handel gefällt?
Nahezu einig waren sich Gegner und Befürworter, dass die Kaiserstraße vom Bahnverkehr entlastet werden muss, nur wie viel? Meiner Meinung nach haben hauptsächlich die nun abgeschafften Hochflurbahnen für den Eindruck der „gelben Wand“ gesorgt: Normal gewachsene Menschen konnten nicht durchschauen im Gegensatz zu älteren und neuen Bahnen. Das hat sich ganz ohne U-Strab erledigt ... Zahl und Länge fand man störend: Gegen die Länge hätte das Alternativkonzept „2. Rampe am Hbf“ für die Zweisystemlinien geholfen. Und die Zahl der Bahnen hätte das U-Strab-Linienkonzept des Bürgerentscheids auch ohne U-Strab schon um eine Linie reduziert: Unten sollte eine Linie weniger als damals oben fahren. Das heute umgesetzte Konzept hat nun nochmals eine Linie weniger. Anders ausgedrückt: Die Erreichbarkeit des Marktplatzes hat durch die U-Strab gelitten. Plus Konzerthaus abgehängt und Anbindung des Hbf via Karlstraße geschwächt.
Versprochen wurde auch eine Beschleunigung des ÖVs, sofern man nicht in die City selbst wollte, denn dort muss man als Endkunde ja noch den längeren Weg in den Untergrund dazuzählen. Für die Durchfahrer oder für die Wirtschaftlichkeit (weniger Bahnen durch schnellere Umläufe) sollte sie was bringen. Stichprobe (eine Richtung werktags) mit aktuellem Plan und 2009:
S1/S11 Ettlingen — Marktplatz — Neureut-K.: 2009 21+21 min, 2024 24+19 min: +1 min
S2 Blankenloch-K. — Marktpl — Rheinst-Röss: 2009 21+28 min, 2024 24+25 min: ±0 min
S5 Durlach Bf — Marktpl. — Rheinbergstr.: 2009 11+20 min, 2024 11+17 min: -3 min
1 bzw. 4 Turmberg — Europapl. — Badeniapl.: 2009 21+14 min, 2024 18+17 min: ±0 min1)
2 Wolfartsweier — Marktpl. — Siemensallee.: 2009 20+35 min, 2024 21+33 min: -1 min
4/3 bzw. 4/1 Waldstadt — Europapl. — Heide: 2009 23+10 min, 2024 22+9 min: -2 min2)
1)zzgl. 4 min Umstieg 2024 Mühlburger Tor
2)zzgl. 3 min Umstieg 2009 Kaiserstraße
Vergleicht man die Fahrtzeiten auf „kurzer Strecke“ zwischen Gottesauer Platz, Mühlburger Tor und Augartenstraße, findet man zwar Zeitersparnisse von 4, 3 oder 2 min, die aber über das ganze Netz teils wieder verpuffen, bei der S2 etwa durch den Umweg in den Tunnel, bei der S1 wohl für die Fahrplanstabilität etc. Einsparungen entstehen also eher durch das eingedampfte Liniennetz als durch die schnellere Fahrt. Knifflig wird es bei Störungen und Baustellen, denn durch naturgemäß fehlende Verbindungen zwischen ober- und unterirdischem Netz, wo es rein oberirdisch welche gab / gegeben hätte, sinkt die Flexibilität des Netzes.
Mein Fazit: Man kann sie nutzen, ich tue das auch, aber der ÖV wurde umständlicher, die Belastung der Bürger war und ist hoch (Bau) und bleibt es (Geld, Platanen), Kaiserstraße und Handel wurden durch die Kombi nicht schöner (nur die Kriegsstraße), durch das Bauen verdrängt fand ich schönere Flanierrouten, denen ich treu bleibe. Trotz heller Haltestellen bleibt es für mich ein überflüssiges Projekt.